ZANG TUMMM TUMB ARTICLES “the first draft of history”

SCHÖNE NEUE WELT

Die formativen Tage des prägenden Labels ZTT

Es war die Zeit der großen Umstürze, der Theorien, des anything goes. Und wie so viele andere hatte auch Paul Morley einen Traum: Zuvor hatte der junge Autor dazu beigetragen, die Art, wie über Pop geschrieben wurde, zu radikalisieren. Dann wagte er sich an ein weitaus ambitionierteres Projekt: Gemeinsam mit Trevor Horn inszenierte Morley das Plattenlabel ZTT als futuristischen Dada-Art-Pop-Traum, in dem die Künstler als quasi-fremdbestimmte Schachfiguren eingesetzt wurden. Bevor ZTT in einer Wolke aus Prozessen, wirtschaftlichen Verfehlungen und Anfeindungen implodierte, gelang so nicht weniger als die Weichenstellung für den Internet-Pop-Eskapismus heutiger Prägung. Exklusiv für SPEX erinnert sich Morley an die formativen Tage.

Ich hatte einen Plan, als ich 1983 — zusammen mit Produzent Trevor Horn — das Label Zang Tuum Tumb aus der Taufe hob. Und nicht nur das: Ich hatte einen Traum. Es war ein Traum, der sich vielleicht am besten durch die Wahl des Namens erklärt, den ich mir — in jenen schemenhaften Prä- Google-Tagen, in denen das Recherchieren so viel mühsamer, aber irgendwie auch aufregender war — von den italienischen Futuristen des frühen 20. Jahrhunderts borgte.

Die Futuristen, die den sublimen, subversiven Nonsens des Dadaismus ebenso vorwegnahmen wie seine analytische Präzision, propagierten die Theorie, dass die neue, von Maschinen geprägte Welt — Autos, Flugzeuge, Elektrizität und die ganzen Städte, die damit betrieben wurden (eine Welt aber auch, die am Abgrund des Krieges und der Selbstzerstörung stand) — eine neue, rigorose Mentalität brauche und ein provokantes Vokabular obendrein. Die Futuristen hatten mit eigenen Augen gesehen, wie sich die Realität des 19. Jahrhunderts in ihre Bestandteile auflöste — nicht zuletzt entfesselt durch revolutionäre Fortschritte in Kommunikation, Transport und Mobilität. Nach dieser historischen Zäsur war eine nicht minder radikale Form von Kunst, Musik und Literatur vonnöten — einerseits, tun die Ära angemessen zu repräsentieren, andererseits, um sie auch adäquat diagnostizieren zu können.

Ich borgte/klaute/plagiierte den Namen ohne Genehmigung (wen hätte ich auch fragen sollen?), weil ich den Klang mochte — einen Klang, der den Sound eines Maschinengewehrs suggerieren sollte.

(cont.)
Zur Beschreibung eines Plattenlabels, das auf Trevor Horns maschinell erzeugtem Drum-Sound basierte, erschien er jedenfalls geradezu ideal.

Als Rockkritiker und Medientheoretiker, der von Lester Bangs ebenso beeinflusst war wie von Walter Benjamin, schwebte mir ein Label vor, das eine Mischung aus Punk und Showbusiness sein sollte — gewitztes Entertainment mit intellektueller Substanz. Nicht zuletzt sollte das Label eine kulturgeschichtliche Aufgabe haben: Musik sollte fortan Teil eines multimedialen Gesamtkunstwerks sein, das auch Video, Sprache und Design collagierte. Ich wollte nicht nur ein Label, das wie eine traditionelle Plattenfirma funktionierte, sondern auch eine Plattform, die kritisch Position bezog zu Kunst, Unterhaltung, Design und soziopolitischen Theorien.

Das war der Plan, das war der Traum: Man nehme von Island oder ECM das Modell einer fest umrissenen musikalischen Identität — und von Factory (oder ähnlich Kunst-orientierten Post-Punk-Indies wie Fetish, Fast und Ze) die Idee eines mobilen Museums, das nicht nur popmusikalische Gechichte speichert, sondern seine kreative Narrenfreiheit nutzt, uni selbst kulturelle Impulse zu geben. Die Horn-Hälfte des Labels — dessen lautmalerischer Wahnsinn inzwischen auf die opportuneren Business-Initialen ZTT reduziert worden war — lebte in friedlicher Koexistenz mit meiner Hälfte und dem ständig changierenden Zang Tuum Tumb. Es war die Arbeitsgrundlage eines unabhängigen Labels, daseer Gedankenwelt von Andy Warhol und Marshall McLuhan ebenso verpflichtet war wie Tamla Motown und dem Electric Light Orchestra.

Wie es sich für eine Kunstbewegung des 20. Jahrhunderts gehörte, waren die ersten Veröffentlichungen maßlos anmaßende Manifeste, deren plakative Slogans die strategische Ausrichtung des Projektes umreißen sollten. In unserem Strategiepapier hieß es unter anderem, dass wir ein »radiant obstacle in the path of the obvious« sein wollten, der Sand im Getriebe des Normativen. An anderer Stelle des Manifestes hieß es, dass Musik und Vision von Zang Tuum Tumb dezidiert europäisch sein sollten — zum Teil, um die tatsächlichen Errungenschaften europäischer Kultur zu feiern, zum Teil, um das kolonialisierende Monopol amerikanischer Popkultur zu konterkarieren, deren Klischees und RocknRoll-Posen immer unerträglicher wurden. Für Zang Tuum Tumb standen Kraftwerk und die elektronische Zeitreise im Zentrum des Pop-Universums, nicht die (amerikanisierten) Beatles oder der staubtrockene Blues.

Der Name und das Image, ja sogar die geografische Herkunft unserer Bands waren dabei nicht minder wichtig als die Musik. Schließlich kümmerte sich um Letztere schon der genialste Produzent der damaligen Zeit — der Mann, der gerade mit ABC die Soulmusik nach England geholt und in einen funkelnden Elektro-Kontext transformiert hatte — und der nun, im Gefolge von Ex-Pistols-Manager Malcolm McLaren, die Welt bereiste und eine Musik entdeckte und propagierte, die bald unter dem Namen HipHop bekannt werden sollte.

Unsere drei ersten Signings waren Frankie Goes To Hollywood aus Liverpool (die allerdings nicht die Beatles, sondern eher die Rolling Stones von ZTT werden sollten), Propaganda aus Düsseldorf (der Heimat von Kraftwerk, ein Hinweis auf die künftige Inspirationsquelle) und Art Of Noise, unsere Haus-Band, das anonyme Synthesizer-Orchester von Trevor Horn, der fleischgewordene Arm der Label-Philosophie. Art Of Noise schienen nirgends zu Hause zu sein und waren doch überall: Aus allen nur erdenklichen Quellen der Pop-Geschichte fischten sie Rhythmen, Sounds und Stile, um die Fundstücke durch den Computer zu jagen und so zu verfremden, dass jegliche Bedeutung aus ihrem liebgewonnenen Zusammenhang gerisSen wurde.

(cont.)
Art Of Noise, ebenfalls nach einem futuristischen Theorem benannt, waren zukunftsweisend, indem sie Pop als Sampling verstanden, Pop als Image, als Remix, akustische Verfremdung, Gast-Sänger, Event, Anonymität, Pseudo-Identität und ein. omputer, gessen berstende, sich überlappende Bests eine zunehmend fragmentierte Welt reflektierten.

Die Bands wurden entweder unter Vertrag genommen oder ans Reißbrett entworfen. Und was 1983 noch ein Konzept und Trevor-Horn-Projekt war, hatte 1985 bereits seinen Platz in der Pop-Geschichte. Und genau das war der Plan, das war der Traum: Frankie als marktschreierische Pop-Sensationalisten eine chaotische, zusammengewürfelte Truppe, die Kontroversen anzettelte und spekta-kuläre, Horn-designte Pop:Epen veröf-fentlichte; Propaganda als diskrete Avant-chic-Elektropop-Stars, die eine neue Form von musikalischer Synchronisation entwickeln sollten, uns so vielleicht der statischen Düsseldorf-Dynamik einen Schuss Drama zu verpassen; schließlich Art Of Noise als kryptisches, maskiertes, nicht-existentes Pop-Quartett, das sich jeder Klassifizierung entzog und eine wüste Montage-Musik machte, die Musique Concrete, Minimalismus und Popsong radikal remixte — das fehlende Glied zwischen Duchamp und Duft Punk.

Bereits 1985 spielten allerdings alle drei Gruppen seit dem Gedanken, das Label zu verlassen und woanders zu arbeiten, um dort — natürlich? — weitere Hits zu veröffentlichen. Selbst Art Of Noise, die doch eigentlich nur aus Maschinen und Studiotechnik zu bestehen schienen (und allenfalls noch aus den Leuten, die im Hintergrund den Sound konstruierten), selbst Art Of Noise wollten gehen. Horn, ich und Teile der Gruppe — wenn auch nicht die eigentlichen Musiker — blieben zurück und verloren nicht nur die Namensrechte und die Label-eigene Hausband, sondern auch einen Großteil des kreativen Momentums. Es war ein Aderlass, von dem sich das Label nie wieder erholen sollte.

Statt den konzeptionellen Ansatz eines modernen Labels weiter vertiefen zu können, statt die futuristischen Prinzipien und die ideologische Inbrunst weiter voranzutreiben, war ich plötzlich Teil einer Firma, die von ihren wichtigsten Acts verklagt wurde. Sie behaupteten, finanziell ausgenutzt worden zu sein, sie beklagten das fehlende Mitspracherecht bei Sound, Verpackung und Marketing — und dass sie einfach wie Puppen behandelt worden seien. Dass ihre Cover und Marketing-Kampagnen mit ausgetüftelten Leitmotiven arbeiteten, schien sie nicht weiter zu tangieren. Caere, Poster und T-Shirts sprachen nun mal mit der Stimme dei Labels, mit meiner Stimme — und dass sie dabei als Avantgarde-Pop präsentiert wurden, machte die Tatsache, nicht konsultiert worden zu sein, in ihren Augen nicht besser.

Ich war dazu übergegangen, das Artwork der Platten nicht mehr mit den Gruppen abzustimmen. Wenn ich zum Beispiel Propaganda gesagt hätte, dass ich auf ihrem Cover J. G. Ballard und Goethe zitieren wollte, hätten sie gefragt, was das mit ihrer Musik zu tun habe. Meine — fraglos arrogante und hochgradig egozentrische — Antwort wäre gewesen: »Es hat aber eine Menge mit dem Label zu tun, auf dem iloc seid. Und dieses Label gibt euch die Möglichkeit, euch kreativ auszudrücken und Pop-Geschichte zu schreiben.« Ich sah nun mal nicht ein, warum ich mir die Zustimmung des Frankie-Goes-To-Hollywood-Drummers einholen musste, wenn ich mir eine Marketing-Kampagne zu »Two Tribes« ausdachte. Ich hatte die Kampagne wie ein Wettrüsten des Kalten Krieges konzipiert — und war mir sicher, dass er den Clou des Konzepts überhaupt nicht kapiert hätte. Mag sein, dass ich das Label ein wenig wie ein Zeitungs- oder Buchverleger führte: Ich schaute mir das angelieferte Material an und legte dann die übergreifende Marschrichtung von Design und Marketing fest.

Bis zu einem gewissen Punkt waren die Argumente der Bands nachvollziehbar: Während ich meinen Traum eines utopischen Labels träumte, mussten die Musiker mit Knebelverträgen leben, die ihnen miese Konditionen boten und die Möglichkeit nahmen, über ihr eigenes Image zu bestimmen. Teil meines Traumes war es nun mal, Artwork und Design so auszurichten, dass, sie sich an den Intentionen des Labels orientierten. Und der Sound auf diesen Platten — so erfolgreich sie auch sein mochten — war letztlich nur der Sound von Trevor Horn und den Co-Produzenten, Technikern und Musikern, die im Studio für ihn arbeiteten.

Im Falle von Frankie und Propaganda wurde sogar ein Großteil der Arbeit gemacht, ohne dass die Band überhaupt anwesend war — und die endlosen Stunden, die Horn und sein Team im Studio verbrachten, um mit immer neuen Abmischungen zu experimentieren, wurden den Bands tatsächlich in Rechnung gestellt. Horn, der sich die Zeit genommen hatte, die Möglichkeiten neuer Studiotechnik zu studieren, war 1983 und 1984 nun mal ein Pionier der prog,rammierbaren, elektronischen Musik, die heute das Herzstück des Internet-Pop-Eskapismus ist.

Der Zang-Tuum-Tumb-Sound beeinflusste 1984 nicht zuletzt auch Quincy Jones und seine Arbeit für Michael Jackson. Jacksons Musik aus der Bad-Ära hatte frappierende Ähnlichkeiten mit den Aufnahmen von Propaganda — was nicht überraschend war, da Jones die Band schätzte (oder zumindest die Computer-generierte Programmierung, die den Propaganda-Sound so unwiderstehlich machte). Horn wie auch Jones hatten sich an die Quadratur des Kreises gewagt und wollten rein synthetische Musik herstellen, die aber völlig natürlich klang — akustisch makellos, aber doch hoch menschlich, artifiziell, aber doch beseelt. Was nebenbei auch zu einer bemerkenswerten Erkenntnis führt: Die klangliche Entwicklung schwarzer Musik in den Achtzigerjahren, ablesbar an der wachsenden Bedeutung des Hip-Hop (der seinerseits auf die Klangarchitektur und die seriellen Rhythmusmo-delle von Kraftwerk zurückgriff), greifbar auch in der elektrischen Energie eines Michael Jackson, war letztlich das Resultat einer Musik, die ursprünglich einmal in Düsseldorf gemacht wurde. Andererseits waren es Trevor Horns Frankie Goes To Hollywood, waren es Tresor Horns Propaganda (auch wenn sein Kollege Steve Lipson die Band produzierte) — und doch fühlten sich die Bands von ihrem Label versklavt, eher eine Boy- (und Girl-) Band denn ein kreatives Kollektiv. Sie hatten ihre eigenen kreativen Vorstellungen, sie wollten keine Beiträge von Seiten des Labels, auch wenn sie noch so innovativ und erfolgreich waren. Das Label, so stellte sich heraus, besaß seltsamerweise ein eigenes Ego.

Da ich für das Traum-Department des Labels zuständig war, hatte ich keine Ahnung, wie die wirtschaftliche Seite funktionierte — und verschloss auch die Augen vor den miserablen Konditionen, die man den Bands angeboten hatte. Ich hatte keine Ahnung, was es de facto kostete, diese wundervollen Pop-Artefakte zu produzieren. (Die Summe, die in das Propaganda-Album A Secret Wish investiert

wurde, hätte damals jedenfalls auch gereicht, um einen professionellen Kinofilm zu finanzieren.) Und trotzdem glaube ich, dass der Preis gerechtfertigt war, um diese waidwunde, filmische Schönheit und Intelligenz auf Band zu bannen, diesen einmaligen, düsteren Post-Punk-Luxus — aber vermutlich war es genau diese Einstellung, die an der wirtschaftlichen Realität vorbeiging. Dieser Teil des Labels existierte eben nur in unserer Traumwelt — einem Universum, in dem Trevor Horn Platten machte, die kein Budget kannten, in dem es keine kreative Partnerschaft mit den Bands gab, letztlich auch keine wirtschaftliche Vernunft.

Ich war nur an dem Teil interessiert, der jenseits der Vernunft lag, aber es waren letztlich diese Realitäten, die das Label in die Knie zwangen — die Idee von einem Label als Kunstprodukt, als lebendes Museum, als Multimedia-Publikation, als Modell für eine zukunftsfähige, bessere Musikindustrie. Daran änderte such nichts mehr, dass ZTT in den Neunzigern intelligente, abgeklärte Platten von 808 State oder Seal veröffentlichte.

Die letzten Veröffentlichungen aus der frühen Inkarnation des Labels waren 1985 Slave To The Rhythm von Grace Jones (Horn und seine Maschinen an den surrealen Grenzen von Genie und Wahnsinn) und ein Jahr später Snobbery And Decay von Act (die in meinen Augen die eigentlichen Propaganda 2.0 waren, während sich die Gruppe, die dann zu Virgin wechselte, de facto auflöste — ähnlich wie The Art Of Noise, die ihren mystischen Nimbus zumindest teilweise einbüßten). Beide Bands versanken in der Normalität, denn so verrückt und chaotisch Zang Tuum Tumb in jenen frühen Jahren auch war: Es war genau diese Eigenschaft, die unseren Gruppen die Weihen der Außergewöhnlichkeit gab. Wenn ich mir dieses Urteil denn erlauben darf. Und wenn mir das auch noch erlaubt ist, möchte ich hiermit festhalten, dass Slave und Snobbery einmalige, wundervolle Platten waren, die den kühnen, schwärmerischen, artifiziellen Geist eines Labels atmen, das konsequent moderne Pop-Platten produzierte — und das diesen Anspruch auch nicht vergaß, wenn es um Design und Marketing ging. Eine Feststellung, die umso wichtiger ist, als die Vinyl-Ära wenig später zu Ende ging — und »Platten«-Label in Zukunft ganz anders aussehen sollten. Dies waren die letzen Momente des Futurismus/Dada/Pop-Art-Traums, der innerhalb von drei Jahren ein Geschäft geworden war — und damit reflektierte, dass die Popmusik generell ein undurchdringliches Geflecht aus Fantasie und Finanz geworden war, aus Vision und Vertrieb, ein Kampf zwischen künstlerischer Freiheit und der Kunst der Realität, ein Freiraum, in dem Unterhaltung Kunst sein wollte, um die Realität zu transzendieren. Zang Tuum Tumb, der Traum, der in die Zukunft verweisen wollte, sollte es nie in die Zukunft schaffen. Und selbst wenn ZTT dieses Kunststück gelang, so doch nur, um in eine Zeit zurückzuschauen, als die Welt noch eine andere war.